Als der Karneval nach Luxemburg kam

Was verbindet Köln mit seiner Partnerstadt Esch-sur-Alzette?
Jean Pütz erklärt die Verbindung

Von Sabrina Steiger, Kölnische Rundschau vom 13.8.2020

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Presse Esch-sur-Alzette

Wie der Karneval nach Luxemburg kam? Jean Pütz hat da eine Idee: „Da war mein
Großvater für verantwortlich. Der war ein verrückter Junge.“ Der Großvater
heiratete ein kölsches Mädchen, die Julie, und führte im kleinen Weinort Remich
den Karnevalsumzug ein. „Später musste ich immer nach Köln fahren und Fotos
machen, damit die in Remich mehr Ideen hatten.“
Jean Pütz, der frühere WDR-Moderator, hat viele Wurzeln in Luxemburg: vor allem
die Familie seiner Mutter in Remich, zu der seine Eltern mit den Kindern aus dem
zerbombten Köln flohen.
Aber auch in Esch-sur-Alzette, der 30 000-Einwohnerstadt, die seit 1958 zu den
Kölner Partnerstädten gehört. Dort verdiente er sich nach der Ausbildung zum
Elektromechaniker das erste eigene Geld. Die Familie hatte keines, der Vater musste
im Krieg seine Kneipe in Köln aufgeben und verdiente den Lebensunterhalt als Arbeiter.
Sohn Jean aber hatte Pläne: „Ich wollte nach Köln auf die Ingenieursschule.“ So
etwas hatte Luxemburg damals nicht. Aber das größte Eisenhüttenwerk Europas in Belval, einem Stadtteil von Esch-sur-Alzette. Um vier Uhr morgens schwang sich der 17-jährige
Jean Pütz in Remich aufs Fahrrad, fuhr neun Kilometer bis zur nächsten Bushaltestelle,
stieg vom Bus in den Bummelzug um und erreichte pünktlich zum Arbeitsbeginn um 6 Uhr
das Werk. „Die Bahn fuhr direkt in das Werk hinein“, erinnert er sich.
Malocht wurde bis 14 Uhr. „Wir reparierten im Team Lokomotiven, Generatoren und
Motoren oder Walzen, mit denen Blech oder Draht hergestellt wurde.“ Auch Kabel
mussten sie in riesigen Hallen verlegen. Laut war es dort und staubig: „Die Menge an
Feinstaub aus feinsten Eisenpartikeln, die ich dort mitbekommen habe, reicht fürs
ganze Leben.“ Jean Pütz arbeitete gut und schnell – wenn er fertig war, schickten ihn
die Kollegen in die Pause, die er zum Lernen nutzte. Auf einer Matratze, die er sich in
ein Hochregallager legen durfte, paukte er Mathe und Elektrotechnik. Weil der tägliche
Weg aus Remich doch zu weit war, durfte er bei einem Freund der Familie wohnen – einem
Arzt: „Da war ich plötzlich bei einem Kulturbonzen.“ Auch das eine prägende Erfahrung:
„Der hat mich gezwungen, klassische Musik zu hören. Und heute bin ich ein großer Fan.“
Nicht nur die Musik, auch die vielen Bücher im Haus beeindruckten ihn. „In Esch hat
auch meine intellektuelle Geburt stattgefunden.“ Doch lange hielt es den umtriebigen
Pütz dort nicht: „Die Hormone wirkten, da habe ich mir eine Bude geholt.“ Die hatte
weder fließend Wasser noch Kochgelegenheit, mittags ging es mit den Kollegen zum Essen
in die Metzgerei. Ein Jahr mit vielen neuen Erfahrungen – dann bestand er die Begabten-Sonderprüfung der staatlichen Nikolaus-August-Otto-Ingenieurschule in Köln und
ergatterte einen von 16 Studienplätzen. Harte Arbeit und intellektuelle Erweckung –
was Jean Pütz in Esch-sur-Alzette erlebte, prägt die Stadt immer noch: Das stillgelegte Hüttenwerk gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe. Der Begriff Belval steht aber längst
auch für die Universität, die das Land zwischen die Relikte der Schwerindustrie
setzte. Heute kommen Studenten auch aus Deutschland nach „Esch“, um Ingenieur zu werden.

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